Club-Forum 3./4. Quartal 2001, Deutsche Gesellschaft CLUB OF ROME (Website)
von Horst W. Zillmer
Die von der Industrie und Politikern forcierte und von ihren Gegnern heftig bekämpfte Globalisierung hat bereits eine über 500-jährige Tradition. Schon zwei Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus wurde im Vertrag von Tordesillas mit der Aufteilung der damals bekannten „Neuen Welt“ und mit der Anerkennung der hegemonialen Ansprüche Spaniens, Portugals und der katholischen Kirche deren wirtschaftliche und politische Dominanz für Jahrhunderte besiegelt.
Heute erleben wir als Zeitzeugen eine globale technische Revolution, die die Lebensqualität der Menschen weltweit nachhaltig beeinflusst. Die schnelle Informationsverbreitung, der Wettbewerb um jetzt geöffnete Märkte, um Kapital und Investitionen verändern die Welt grundlegend und in bisher nicht gekannten kurzfristigen Prozessen.
Wir haben für diese vielfältigen Veränderungen den Begriff „Globalisierung“ neu geprägt. Sie vernetzt die Volkswirtschaften und die Menschen, wodurch der Dialog und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen gefördert wird. Dieses Netzwerk macht zugleich die Schaffung fairer Rahmenbedingungen und Regeln für eine möglichst reibungslose, gleichberechtigte und stabile Kooperation unverzichtbar. Wenngleich heute nationale Grenzen via Internet, E-Mail und Fax problemlos überwunden und Informationen im Tagesrhythmus ausgetauscht werden können, löst der Globalisierungs- und Transformationsprozess in vielen Ländern dramatische Umbrüche aus.
Globalisierung darf daher nicht allein als Instrument zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen verstanden werden, sondern als eine Plattform der Kooperation zur Bewältigung gemeinsamer aktueller Anliegen.
Anders als noch zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes verschließen sich heute nur noch wenige Staaten der internationalen Zusammenarbeit zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Frieden. Die Globalisierung ist daher nicht ein nur wirtschaftlicher, sondern ein zugleich unverzichtbarer politischer Vorgang, der alle Länder mit grundlegenden Herausforderungen, Chancen und Risiken konfrontiert.
Dennoch ist die Globalisierung heftig umstritten. Sie trifft auf höchst unterschiedliche Wertesysteme und Gruppierungen, die beispielsweise die internationale Wirtschaftsordnung als ungerecht einstuften und bekämpfen. Sie verweisen dabei u.a. auf das Ungleichgewicht der Wohlstandsverteilung und auf eine geringe Chancengleichheit der Entwicklungsländer gegenüber den einflussreichen Industriegiganten.
In der Tat steht der von wirtschaftlichen Interessen gelenkten Globalisierung der Märkte eine durch extreme Armut und relativem Reichtum geprägte und gespaltene Welt gegenüber.
Beispielhaft sei an die Länder Afrikas südlich der Sahara erinnert, deren 642 Millionen Einwohner 1999 ein Bruttosozialprodukt von $ 320 Mrd. - weniger als die Niederlande - oder $ 500,-/Kopf erwirtschaftet haben. Zugleich wurde bekannt, dass das Gesamtvermögen der weltweit führenden 200 Milliardäre auf $ 1135 Mrd. (!) geschätzt wurde.
Wir dürfen dennoch nicht übersehen, dass die Unterentwicklung vieler Länder von einer Reihe unterschiedlicher und landesspezifischer Umstände dauerhaft beeinträchtigt wird. Nachteilige klimatische Bedingungen, fehlende Bodenschätze, ungünstige geographische Rand- und Binnenlandlagen, die Belastungen durch eine beständig wachsende Bevölkerung, geschichtlich gewachsene Fehlentwicklungen, Korruption und Missmanagement in der Verwaltung und Bildungsdefizite, politische Fehlentscheidungen und andere Umstände beeinträchtigen die Entwicklungsbemühungen. Die meisten dieser Länder - darunter nahezu alle Länder Afrikas südlich der Sahara - werden zukünftig nur mit Hilfe und Unterstützung der Völkergemeinschaft in der Lage sein, sich von den Auswirkungen ihrer negativen Sondersituation und der daraus resultierenden Armut zu befreien.
Die von der Wirtschaft forcierte Globalisierung ist auf die Eroberung der Märkte und auf die Erzielung wirtschaftlicher Vorteile ausgerichtet. Mit Blick auf die Zukunft können wir uns damit nicht zu frieden geben. Wir begreifen heute immer deutlicher, dass Strukturen zur Beeinflussung globaler und regionaler Fehlentwicklungen und zur Bekämpfung der vielseitigen Ausprägung der Armut geschaffen und dauerhaft gesichert werden müssen. Diese Ziele zu verwirklichen darf sich eine globale Verantwortungsgemeinschaft nicht verschließen, denn Sie steht in der Verantwortung zur Formulierung und Abschluss eines Weltgesellschaftsvertrages für die Sicherung einer nachhaltig tragfähigen globalen Entwicklung.
In den Jahren 1990-96 wurden auf zahlreichen UN-Weltkonferenzen und Gipfeltreffen bereits zentrale Themen wie Umwelt, Kinder, Entwicklung, Menschenrechte, Bevölkerung, Frauen, soziale Entwicklung und Siedlungswesen diskutiert und Beschlüsse zur Behebung der ermittelten Defizite gefasst. Es hat sich jedoch erwiesen, dass Konferenzbeschlüsse nur dann angegangen werden können, wenn zugleich deren Finanzierung dauerhaft gesichert werden kann.
Erstmals wird an dieser Stelle die Errichtung eines dauerhaft verbindlichen „Welt-Entwicklungs-Fonds“ (WEF) („Earth-Funding-Fund“) gefordert und dafür ein globales Finanzierungsmodell vorgestellt. Alle Länder werden sowohl an den Beitragsleistungen als auch an den Fondsmitteln eingebunden.
Die Länderbeiträge zur Finanzierung des Fonds sollten nach der Wirtschaftskraft der Länder bemessen werden. Dazu wird erstmalig eine Beitragsbemessung nach den jeweiligen CO2-Emissionen der Länder angeregt. Auf diesem Weg könnten zugleich alle Länder angeregt werden, ihre beitragspflichtigen CO2-Emissionen zu senken indem sie dafür zweckgebundene Fondsmittel in Anspruch nehmen, um damit zugleich Ziele des Klimaschutzabkommens erfüllen. Bereits mit einer Abgabe von $5,-/to CO2-Emission könnten weltweit jährlich $120 Mrd. zur Erfüllung der Fondsziele aufgebracht werden.
Die anzugehenden Entwicklungs- und Umweltschutzdefizite sind in allen Ländern in unterschiedlicher Ausprägung erkennbar. Sie wurden im Verlauf der bereits erwähnten UN-Weltkonferenzen definiert und dort auch die notwendigen Maßnahmen zur Überwindung der Defizite beschlossen.
Der Maßnahmenkatalog ist vielschichtig und beinhaltet u.a die Stabilisierung der jährlich um über 80 Millionen Menschen anwachsende Weltbevölkerung, die Bekämpfung der Massenerkrankungen (wie HIV/AIDS, Malaria, Tbc) sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Klimaveränderungen. Die jährlichen Folgekosten der durch die Menschen ausgelösten Erderwärmung werden in einem jüngsten UN-Klimareport auf mindestens $ 100 Mrd. geschätzt.
Investitionen zur Sicherung einer nachhaltig tragfähigen globalen Entwicklung und zur Bekämpfung der Armut und des weltweiten Terrorismus sind zwingend und dringend erforderlich und müssen dauerhaft gesichert werden, will man die gesteckten Ziele erreichen.
Der Finanzierungsbedarf für zukunftssichernde Investitionen beträgt laut Weltbank annähernd für:
Umweltschutz $50 -75 Mrd.
Reduzierung von Emissionen (z.B. CO2) und Abfällen, Förderung umweltschonender Techniken, Aufforstung und Bodenerhalt.
Bevölkerungspolitik $25 Mrd.
Zugang für alle zur reproduktiven Gesundheitsversorgung, zu Familienplanungs- und Bildungseinrichtungen.
Gesundheit $20 Mrd.
Bekämpfung der HIV/AIDS-Epidemie, Malaria, Tbc und anderer Massenerkrankungen, Trinkwasserversorgung und sanitäre Einrichtungen, Basis-Gesundheitsversorgung.
Ein von einer Verantwortungsgemeinschaft getragener und gemessen an der jeweiligen Wirtschaftskraft aller Länder finanzierter „Welt-Entwicklungs-Fonds“ würde einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Lebensverhältnisse weltweit zu verbessern. Geboren aus der Überzeugung, dass wir alle in einem Boot sitzen, bräuchten wir dringendst einen Weltgesellschaftsvertrag, da wesentliche Aufgaben der Bekämpfung der Umwelt- und Entwicklungsdefizite nur global angegangen werden können.
Horst W. Zillmer
Vorsitzender der Stiftung „Kinder in Afrika“ (Reinbek/Hamburg) und Autor des Buches
„Die Zukunft beginnt heute ... und wohin gehst Du, Homo sapiens?“